Erinnerungen an Lauenbrunn von Kurt Schüttler


Die Zeit von 1933 bis 1945 

Die meisten Bewohner unseres Dorfes, Arbeiter, Handwerker und Bauern, glaubten an eine bessere Zeit und an die Versprechungen der neuen Machthaber. Bestärkt wurden sie durch die Anfangserfolge, denn die Arbeitsbeschafftung, die Ehestandsdarlehn für die jungen Familien, die Hilfe durch NSV und andere Hilfsorganisationen und nicht zuletzt die Finanzhilfen für die vielfach stark verschuldeten Bauern sorgten für eine günstige Stimmung in der Bevölkerung. 

Einzelne bei der Machtübernahme von der neuen Regierung verhaftete Bürger kehrten nach einiger Zeit in das Dorf zurück, und so schien alles in bester Ordnung zu sein. Die Tatsache, daß der "Bibelforscher" Scholz als Angehöriger der Zeugen Jehovas "abgeholt" und in ein Lager gebracht wurde, weil er das Hitler-System nicht anerkannte und auch zusammen mit seiner ganzen Familie den "Hitlergruß" verweigerte, wurde von der Dorfbevölkerung einfach zur Kenntnis genommen. Für die Familie bedeutete es viel Not und Entbehrungen, denn Frau und Kinder mußten sich die gesamten Kriegsjahre kümmerlich durchschlagen. Herr Scholz hat die langen Konzentrationslagerjahre überlebt und kehrte nach Kriegsende zu seiner Familie zurück. Der konservativ eingestellte Bürgermeister Emil Pietsch wurde von der NSDAP abgelöst und mußte sein Amt abgeben. An seine Stelle trat als neuer Bürgermeister und Amtsvorsteher der Bauer Alfred Jockwer. Der besonnene und ausgleichende Mann an der Spitze der Gemeinde versuchte überall die negativen Auswirkungen des neuen Systems in Grenzen zu halten. 

Der 1939 ausgebrochene Zweite Weltkrieg bremste schnell den Höhenflug der begeisterten Anhänger des NS Systems, und schon im Polenfeldzug mußte Lauenbrunn die ersten Gefallenen beklagen. Auch der Westfeldzug und die Kriegsschauplätze im Norden forderten ihre Opfer. Mit dem Rußlandfeldzug, dem Eintritt Amerikas in den Krieg und der Ausweitung des Seekrieges stiegen die Verluste wie überall auch in unserem Dorf. Die materielle Not dagegen war bei uns natürlich nicht so spürbar wie in den Städten, denn die Lebensmittelversorgung war in den Landbezirken deutlich besser. 

Dem Arbeitskräftemangel begegnete die Regierung durch den Einsatz Kriegsgefangener Soldaten aus vieler Herren Länder. Jugoslaven, Franzosen, Russen und besonders zivile Zwangsarbeiter aus den Ostgebieten mußten in der Landwirtschaft und in den Handwerksbetrieben arbeiten. Die Behandlung dieser Menschen durch die Deutschen war auch bei uns unterschiedlich. Sie wurden jedenfalls ausreichend verpflegt und menschenwürdig untergebracht. In ihrer persönlichen Freiheit waren sie stark eingeschränkt und der Staat sorgte durch strenge Anordnungen, daß keinerlei Verbrüderung aufkam. Die Ostarbeiter wurden abgesondert. Sie durften mit den Deutschen nicht zusammen an einem Tisch essen. Hier zeigte sich mit erschreckender Deutlichkeit der Rassenwahn unserer Regierung, durch den auch zwei deutsche Frauen ihr Leben verloren, weil sie Kontakte zu Ausländern aufgenommen hatten. Einige besonders harte Arbeitgeber entgingen nach Kriegsschluß der Rache nur durch die rechtzeitige Flucht nach dem Westen. 

Nach dem Durchbruch der russischen Armee im Januar 1945 setzte die Massenflucht aus dem Weichsel- und Odergebiet ein. Die ersten Flüchtlinge kamen am 20. Januar in das Dorf. Sie blieben ein bis zwei Tage und zogen dann weiter nach Westen. Partei und Kreisverwaltung ordneten kurz darauf die Evakuierung des Dorfes an. Kinderreiche Familien, Kriegsbeschädigte und Alte wurden in Sammeltransporten nach Bayern gebracht. Auf einem dieser Transporte im Raum Schwandorf (Oberpfalz) griffen Bombenflugzeuge derartige Transporte an. Der kriegsbeschädigte Gustav Wuttke und Berthold Geppert (einarmig) sind seit diesen Tagen verschollen. 

Am 18. Februar mußten die Bauern mit Pferd und Wagen die Bevölkerung in Richtung Glatz transportieren. In Peterwitz-Schönwalde endete die erste Etappe. Einige fuhren von dort wieder zurück in ihre Häuser, um das noch verbliebene Vieh, ein großer Teil war schon nach Westen weggetrieben worden, in den Ställen zu versorgen. Die übrige Bevölkerung zog mit dem restlichen Wagentreck weiter nach Kunzendorf, wo viele das Kriegsende erlebten. 

Der Bauer Heinrich Meyer (früheres Brand-Gut) hatte wohl als einziger die drohende Gefahr richtig eingeschätzt. Er hatte rechtzeitig eine große Wagenkolonne zusammengestellt und fast das gesamte Inventar des Hofes samt Vieh und Futter darauf verladen und in den Raum Helmstedt gebracht. Mit viel Glück, denn das Gut seiner Tochter Herta, zu der sein "Treck" führte, lag wenige Kilometer westlich des "Eisernen Vorhanges".

Obwohl die Front sehr nahe gerückt war, von Dürrbrockuth aus schossen unsere 21 cm Geschütze nach Strehlen, wo die Front verlief, bestellten die zurückgekehrten Bauern und Gutsarbeiter im März und April die Felder wie immer. Als am 6. und 7. Mai die Fronttruppen zurückgingen - die Bahnübergänge und auch bei uns die Bahnbrücke im Oberdorf wurden gesprengt - packte die verbliebene Bevölkerung die notwendigsten Dinge auf Fahrzeuge, um den vorrückenden Truppen auszuweichen. Es herrschte allgemeine Ratlosigkeit, denn aus Rundfunkberichten hörte man, daß Hitler in Berlin "gefallen" sei. Aber immer noch wurde die Bevölkerung in Unklarheit gelassen. Am 8. Mai befand sich eine große Wagenkolonne flüchtender Menschen mit Vieh auf der Straße nach Frankenstein. Vor Kobelau war durch ein zusammengebrochenes Fuhrwerk ein Stau entstanden, und vom Galgenberg, wo die heranrückenden Truppen sich auf der Kreisstraße von Strehlen nach Frankenstein bewegten, schossen Panzer auf die Zivilkolonne. Dabei fand der Landwirt Paul Opitz, der sich in dieser Kolonne befand, den Tod. Eine Granate traf auch den Bauernhof Hübel. Sie verletzte Karl Hübel so schwer, daß er an den Verwundungsfolgen starb. Er konnte keine ärztliche Hilfe erhalten. 

Während die Russen am Dorf vorbei nach Frankenstein zogen, hatten sich viele Gespanne mit ihren Fahrzeugen nach Schodelwitz durchgeschlagen. Erich Reich, der mit Pistole und Fernglas bewaffnet die Lage auf seinem Rennrad erkundete, brachte die Nachricht, daß die Russen uns bereits überholt hatten. Am übernächsten Tag kehrte die Wagenkolonne zögernd in das Dorf zurück. Das vorrückende Militär beherrschte die Straßen, und die russischen Soldaten begannen bereits mit den Plünderungen. In Schräbsdorf sahen wir den Bürgermeister erschossen in seinem Hof liegen und alle packte das Grauen vor der bevorstehenden Zeit. Hermann Weigelt, damals schon sehr alt, hatte sich mit dem Fahrrad in das Dorf gewagt und die Lage erkundet. Er berichtete, daß die Ausländer (Zivilarbeiter und kriegsgefangene Russen) sich friedlich verhielten, aber über die Vorräte hermachten. 

Nach einigen Tagen besetzte das russische Militär die Fleischerei Geppert und richtete dort die Kommandantur ein. Die Bevölkerung mußte alle Waffen, Fahrräder, Nähmaschinen, Fotoapparate, Radios, Autos und Motorräder abliefern. Sie wurden nach Frankenstein transportiert, wo sie zum Teil noch nach Jahren auf großen Haufen verrosteten. 

Bald besetzten auch die Polen die Häuser der Deutschen, warfen sie aus den Wohnungen und nahmen was ihnen gefiel. Die rechtlose Zeit vom 8. Mai bis zur Vertreibung zu beschreiben, würde mehr als ein großes Buch erfordern. Es ist hier wohl nicht der Ort, diese Frage auszuweiten. Bleibt festzustellen, daß mit Beendigung des Krieges Mord, Vergewaltigung, Plünderung, Gefängnis und Mißhandlungen in besonderer Weise von den Polen und Tschechen, nicht so sehr von den Russen, meist an Frauen und Alten ausgeübt wurde. Die Erschlagenen und Erschossenen unseres Dorfes und die Frauen, die zusammen mit den Kindern freiwillig aus dem Leben schieden, beweisen es.