Erinnerungen an Lauenbrunn von Kurt Schüttler


Die Vertreibung 

Einen Tag vor der Vertreibung, bei uns war es der 17. April 1946, verteilte die polnische Polizeiverwaltung Räumungsbefehle. Sie betrafen die Bauern, Handwerker und Hausbesitzer, während die nichtselbständigen Arbeiter auf den Gütern und Beschäftigte von Spezialbetrieben wie Molkereien und dergleichen nicht betroffen waren. Diese Arbeitskräfte wollte man weiterhin ausnutzen, denn den einrückenden polnischen Familien ging es nicht so sehr um die Übernahme von Arbeit, sondern um die Übernahme des deutschen Eigentums. Unter Androhung von Waffengewalt wurde die Bevölkerung aufgefordert, nur mit Handgepäck und den notwendigsten Lebensmitteln für den Transport, auf dem Galgenberg zum Marsch nach Frankenstein anzutreten. Das bis zuletzt von keinem Menschen Geglaubte wurde Wirklichkeit. Polen aus allen Bereichen, zum Teil selbst von den Sowjets aus ihrer Heimat vertrieben, gingen in die Wohnungen, soweit sie nicht schon vorher Besitz davon ergriffen hatten. Der Gasthof "Elefanten" in Frankenstein diente schon seit Wochen als Durchgangslager und befand sich in einem grauenerregenden Zustand. Besonders die als Kloaken hergerichteten ehemaligen Stallungen. Die Menschen lagerten zu Dutzenden in den Fremdenzimmern des Gasthofes auf den Fußböden. Dort wurde bei Kontrollen manchen noch die letzte Habe weggenommen. Die Plünderungen dauerten auch noch während des Transportes an, und bei Haltstationen mußten die in den Viehwagen ohne Wasser und Verpflegung liegenden Menschen die Türen von innen verriegeln, weil marodierende Russen und Polen in die Waggons einzudringen versuchten. Alle waren froh, als nach den Wartetagen über Ostern auf einem Abstellgleis in Striegau das polnisch besetzte Gebiet verlassen wurde. Das war die von den Alliierten beschlossene, unter "humanitären Bedingungen" durchgeführte "Umsiedlung". 

Wer wie ich diesen Transport miterlebte, wird bezeugen, daß die Menschen Heimatlieder sangen, als die Züge aus dem Machtbereich des Ostens fuhren. Nur die unmenschliche Behandlung der deutschen Bevölkerung seit Kriegsende macht dies verständlich. Die ganzen Ostgebiete waren seit dem Waffenstillstand am 8. Mai 1945 ein einziges großes KZ geworden. Viele Alte und Kinder starben, denn es gab keine ärztliche Versorgung, obwohl Typhus ausgebrochen war. Mord und Totschlag an der Tagesordnung, waren die Menschen froh, ihr nacktes Leben gerettet zu haben. Nur so war zu erklären, daß Jubel ausbrach, als die Westzone erreicht wurde. Unser Transport, bestehend aus ca. 50 geschlossenen Güterwagen (Viehwagen) mit ca. 1500 Menschen, benötigte fast eine Woche bis zur Westzonengrenze. Im Raum Helmstedt wurden aus unserem Transport die Familien Heinrich Gröger, Richard Jahn, Günter Jockwer, Manfred Süßbrich, Walter Jesdinsky, Richard Steiner, Paul Fuchs und Schiller ausgeladen. Während des Transportes verstarb Frau Emilie Märsch geb. Werner. Sie fand in Gittelde bei Seesen im Harz ihre letzte Ruhestätte. Der Altbauer Artur Wengler mußte bei der Ankunft des Transportes im Landkreis Osnabrück in das Landeskrankenhaus gebracht werden. Er war durch die schrecklichen Ereignisse seelisch erkrankt und starb kurz darauf in Osnabrück. Der Transport hatte nach einem Lageraufenthalt von einer Nacht in Marienborn das Zwischenlager in Hilter, Landkreis Osnabrück, erreicht. Am 25. April erfolgte der Weitertransport, wobei eine größere Gruppe Lauenbrunner nach Hasbergen bzw. Atter im Landkreis Osnabrück verteilt wurden. Im Transport vom 19. April 1946 befanden sich neben den Lauenbrunnern auch Vertriebene aus Kunzendorf und weiteren Dörfern des Kreises Frankenstein. 

Die Einwohner Sackerau's und weitere Lauenbrunner wurden am 22. August vertrieben. Sie wurden nach Bielefeld gebracht. Mit diesen zwei großen Transporten waren die meisten Deutschen aus der Heimat entfernt. Im April 1947 und August 1947 mußten die letzten Familien das Dorf verlassen. Sie kamen in die damalige sowjetische Besatzungszone. Dabei waren auch viele Eisenbahner unserer Kleinbahn.