Erinnerungen an Lauenbrunn von Kurt Schüttler


Die staatsrechtlichen Verhältnisse Schlesiens 

Bis zum 9. Jahrhundert sind die Verhältnisse des Landes und seine Besiedlung wenig bekannt. Mehrere Kleinstämme wie die Golensizen, die Opolanen, Siensanen, Boboranen usw. gerieten im 10. Jahrhundert in böhmische Abhängigkeit. Die Bevölkerung war weder tschechisch noch polnisch, sondern einfach slawisch, also auch eingewandert und nicht die Urbevölkerung (keine Autochtonen), wie Polen heute gern behauptet. Das Land war staatsrechtlich weder Polen noch Böhmen zugehörig, sondern ständig Zankapfel zwischen beiden. 1137, mit dem Glatzer Pfingstfrieden, gehörte für einige Zeit der größte Teil Schlesiens zu Polen. Diese Zugehörigkeit begann sich aber bald danach zu lockern, und die Anlehnung an das deutsche Reich folgte. 

Im 13. und 14. Jahrhundert schied dann das inzwischen eingedeutschte Territorium Schlesien aus dem polnischen Staatsverband aus. Die Fürsten unterstellten sich den böhmischen Premysliden, später den Luxemburgern. Als böhmisches Nebenland gehörte damit Schlesien seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts staatsrechtlich zum deutschen Reich. Als Folge der inneren Zerrüttung durch die verheerenden Hussittenkriege und die böhmischen Thronstreitigkeiten wurde Schlesien von 1469-1490 unter Mathias Corvinus ungarisches Nebenland. 

1526 erbten die Habsburger die böhmische und ungarische Königskrone und damit auch Schlesien. 220 Jahre blieb danach Schlesien bei Österreich. Die preußische und damit letzte Periode staatsrechtlicher Veränderung erfolgte mit der gewaltsamen Besitzergreifung Schlesiens durch Friedrich den Großen. Die protestantische Bevölkerung Niederschlesiens begrüßte dies, während das katholische Oberschlesien diese Entwicklung zumeist beklagte und mit gemischten Gefühlen betrachtete. 

Das letzte traurige Kapitel ist den Schlesiern zumeist aus eigener Erfahrung nur zugut bekannt. In der Endphase des von Hitler unsinnig angezettelten Krieges überrollte die Rote Armee Schlesien, gefolgt von der polnischen Miliz. Stellvertretend für das ganze deutsche Volk und die ihm angelastete Schuld mußten Millionen von Schlesiern mit den übrigen Ostdeutschen ihre angestammte, in Jahrhunderten harter Arbeit geschaffene Heimat verlassen. An den Schluß meiner kurzen Darstellung der Geschichte Schlesiens möchte ich die Sätze stellen, die der schlesische Historiker Prof. Dr. Josef Joachim Menzel in der Feierstunde am Schlesiertreffen 1973 in Essen am Ende seiner Festrede sprach. 

"Mit der Übernahme der Verwaltung Schlesiens durch Polen 1945 für vorläufig unbestimmte Zeit hat eine neue, sechste, polnische Periode der schlesischen Geschichte begonnen. Wie lange sie andauern wird, vermag niemand zu sagen. Ganz sicher aber ist die Geschichte unseres Heimatlandes an der Oder weder heute noch morgen zu Ende oder für alle Zeiten unverrückbar vorgezeichnet. Die augenblicklichen Gegebenheiten sind ebensowenig endgültig und unabänderlich wie es irgendwelche andere vor ihnen waren. Schlesien hat im Laufe der letzten 1000 Jahre - wie ich in großen Zügen zu zeigen versucht habe - im Wechsel reihum zu allen seinen Nachbarn (Böhmen, Polen, Ungarn, Österreich, Preußen) gehört und - in ihrem Interessenbereich gelegen - zugleich eine gewichtige Rolle in der deutschen wie der europäischen Geschichte, in die es unentrinnbar eingebettet ist, gespielt. Es ist mehrfach zerstört und wieder aufgebaut, entvölkert und wiederbevölkert, verlorengegangen und wiedergewonnen worden. Polen selbst, das im Trentschiner Vertrag vor 650 Jahren einst feierlich für alle Zukunft jedem Anspruch auf Schlesien entsagt hat, das 120 Jahre lang als Staat ganz von der Landkarte verschwunden war, ist ein eindringliches Beispiel für den geschichtlichen Wandel in der Zeit. Beispiel und Mahnung, aus der Geschichte zu lernen, historisch, d.h. über uns selbst hinaus in langen Zeiträumen zu denken und unbeirrt an unserer geschichtlichen Vergangenheit, unserem gemeinsamen kulturellen und politischen schlesischen Erbe festzuhalten und es in die Zukunft hineinzu pflegen und zu bewahren."

Diese bis hier geschilderte Entwicklung unseres Dorfes war nur durch die allgemeine, ganz Schlesien umfassende Hinwendung der polnischen Piasten zum Westen möglich geworden. Begonnen hatte sie mit der Erbteilung von 1138, durch die Wladislaw von seinem Vater "Boleslaw Schiefmund" Schlesien im Umfang der Diözese Breslau erhielt, sich mit seinen Brüdern zerstritt und anschließend mit seiner Familie zu seinem Schwager König Konrad III. nach Deutschland flüchtete. Wladislaw und seine Frau Agnes starben im Exil. Agnes, eine Tochter des Markgrafen Leopolds III. von Österreich und der Kaisertochter Agnes waren das Elternpaar, von denen alle schlesischen Piasten abstammten. Ihre drei Söhne Boleslaus der Lange, Mieszko und Konrad kehrten 1163, nachdem sie 17 Jahre an deutschen Fürstenhöfen gelebt hatten, mit Unterstützung Kaiser Barbarossas, der ihr Vetter war, in das väterliche Erbe in Schlesien zurück. Die Anlehnung an das deutsche Reich wurde dadurch natürlich noch stärker, und deutsche Ritter und Mönche, Siedler und Kaufleute folgten dem Rufe Boleslaus und seiner Brüder. Boleslaus heiratete Adelheid, eine Schwägerin König Konrads III., und teilte mit seinen Brüdern das Erbe, wobei Boleslaus ganz Nieder- und Mittelschlesien beanspruchte, während Mieszko nur das Gebiet um Ratibor und Teschen erhielt, das er aber bald um Beuthen, Pleß, Nikolai, Sator, Auschwitz, Sewerien und Oppeln erweiterte. Der Bruder Konrad wurde Kleriker im Kloster Fulda. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts näherten sich Nieder- und Mittelschlesien unter Boleslaus und Adelheid weiter dem Westen an, während Mieszko sich mit Oberschlesien zum slawischen Osten hinwandte. Erbe von Boleslaus (Nieder- und Mittelschlesien) wurde der einzige überlebende Sohn Heinrich 1., der Hedwig, eine bayrische Fürstentochter aus dem angesehenen Hause Andechs-Meran, heiratete. Sie ging später als "Heilige Hedwig" in die Geschichte Schlesiens ein. Deren einziger Sohn und Alleinerbe Heinrich IL, gefallen in der Mongolenschlacht von 1241, hatte also eine deutsche Mutter, zwei deutsche Großmütter, einen deutschen und einen piastischen Großvater, vier deutsche Urgroßmütter, eine piastische und drei deutsche Urgroßmütter. (1) 

Daß am Breslauer Herzogshof bereits im 13. Jahrhundert deutsch gesprochen wurde, ist sicher einleuchtend. Die Herzöge Heinrich der I. und II. versuchten im Bewußtsein ihrer auch piastischen Abstammung, Niederschlesien um Oberschlesien, Teile Polens und der Lausitz zu erweitern, um ein neues großes Reich aufzubauen. Diese sehr erfolgversprechende Entwicklung wurde leider durch den unglücklichen Tod des jungen Herzogs Heinrich auf der Wahlstatt bei Liegnitz im Kampf gegen die einbrechenden Mongolen jäh abgebrochen. Die unglücklichen Erbteilungen und Zwistigkeiten gingen weiter und führten 1248/51 zu den Piastenhäusern Breslau-Liegnitz und Glogau. In unserer engeren Heimat entstanden um 1291 die Münsterberger Linie, von 1291 - 1428 die Bolko-Herzöge, 1429 - 1456 eine herrenlose Zeit, von 1456 - 1569 die Münsterberger Herzöge aus dem Hause Podiebrad, von 1569 - 1654 unmittelbares böhmisches Kronland und zuletzt die Herzöge von Münsterberg aus dem Hause der Auerspergs. 1791 wurde das Herzogtum Münsterberg an Preußen verkauft.