Erinnerungen an Lauenbrunn von Kurt Schüttler


Vorwort 

Die "Erinnerungen an Lauenbrunn" habe ich 1987 und 1988 geschrieben, d.h. 41 bzw. 42 Jahre nach der Vertreibung. Nach dieser langen Zeit wäre das nicht so ohne weiteres möglich gewesen, wenn ich nicht auf das von Erich Reich, unserem alten Standesbeamten, und Alfred Arglebe, dem langjährigen Gemeindesekretär, gesammelte Datenmaterial hätte zurückgreifen können. Beide hatten gleich nach 1946 begonnen, besonders die persönlichen Daten festzuhalten, denn bei der Vertreibung achteten die Polen streng darauf, daß keinerlei Dokumente aus Schlesien mitgenommen wurden. 

Viele Einwohner hatten im Dorf Schriftstücke, Wertsachen, Wäsche usw. vergraben, eingemauert oder versteckt. Alles in der Hoffnung, vielleicht später einmal - bei der von allen erhofften Rückkehr - wenigstens einiges wiederzufinden. 

Auch Efendi Herzog beteiligte sich an der Zusammenstellung von Anschriften, Fotos und wichtiger Dinge. Daß ich bereits 1946 mit der Sammlung aller möglichen Berichte und ostdeutscher Literatur begann, erleichterte mir jetzt die Arbeit am Buch sehr. Auch die von Pastor Seibt 1907 herausgegebene Schrift "Aus Tepliwodas Vergangenheit" leistete mir hervorragende Dienste, denn die Zusammenhänge zwischen den alten Bauernfamilien werden aus seinen Schilderungen über Brände und Inhalte der alten Schöppenbücher erst richtig verständlich. Besonders seine Zusammenfassung der Kirchengeschichte und Dorfentwicklung ersparte mir zeitraubende Nachforschungen, so daß ich mich bei meiner Arbeit mehr auf die letzten 80 Jahre des Dorfes und die Wiedergabe von Fotos konzentrieren konnte. Mit Ausnahme der Kriegsjahre wohnte ich fast immer im Heimatdorf, und 1945 erlebte ich dort das Kriegsende, die Besetzung durch Russen und Polen und die Vertreibung. Ich war 1942 bereits als 20jähriger in Rußland verwundet und 1944 wegen meiner Kriegsbeschädigung aus dem Wehrdienst ausgeschieden. Zu dem vorgesehenen Dienstbeginn in der Kreisverwaltung Frankenstein am 1.4.1945 kam es nicht mehr, denn am 19.1.1945 erfolgte der Durchbruch der russischen Armeen an der Ostfront. Zu dieser Zeit besuchte ich noch die Schlesische Gemeindeverwaltungs- und Sparkassenschule in Breslau und war deshalb wenigstens für einen Beruf in der Fremde vorbereitet (ich begann mein Dienstverhältnis bei der Gemeinde Hasbergen am 1.10.1947). 

Daß ich nach der Vertreibung in Hasbergen zusammen mit vielen ehemaligen Lauenbrunnern leben konnte, habe ich immer als ein persönliches Glück empfunden. Es ermöglichte mir, den Zusammenhalt der Heimatfreunde zu fördern, Heimattreffen zu veranstalten, und durch meine 34jährige Tätigkeit in der Gemeindeverwaltung konnte ich vielen Hilfe in mancher Situation leisten. 

Bis auf den heutigen Tag treffen wir uns hier gelegentlich zu Heimatnachmittagen. Durch Vorträge in schlesischer Mundart, Heiteres und Ernstes gemischt, wurde der Kontakt untereinander gut gepflegt. 

Darüber hinaus beschäftigte ich mich immer intensiv mit allen Belangen der Heimatvertriebenen, war aktiv in der Gemeinschaft Evangelischer Schlesier, dem Bund der Vertriebenen und in der Heimatkreisversammlung des Kreises Frankenstein tätig. Mit den verstreut wohnenden Lauenbrunnern hielt ich so gut es ging Kontakt, wobei das besonders in den ersten Jahren nicht leicht war, denn die berufliche Betätigung hatte natürlich auch bei mir den Vorrang. Dazu bin ich seit 40 Jahren in den Organisationen Arbeiterwohlfahrt und Reichsbund ehrenamtlich tätig, schrieb 1985 eine Dorfchronik über meine Wohnsitzgemeinde Hasbergen, und auch nach meiner Pensionierung läuft der größte Teil dieser ehrenamtlichen Arbeit weiter. Während der Arbeit des letzten Jahres wurde mir erst so recht deutlich, wie groß unser Lauenbrunn war. Die Vielfalt der verwandtschaftlichen Verknüpfungen, die wechselvollen Schicksale der Bewohner und die zahlreichen Ereignisse einer so großen Ortschaft in seiner Gesamtheit zu erfassen, sind das Schwierige, denn jeder kennt seinen eigenen Bereich meist gut; hier kam es aber darauf an, alles zu erfassen. Dazu trat die leider traurige Tatsache, daß einige Heimatfreunde überhaupt keine Kontakte suchten und auf Anfragen nicht antworteten. Die meisten von mir angesprochenen Bekannten haben mir sehr geholfen, und in vielen Gesprächen gelang es mir dann doch, ein ziemlich abgerundetes Bild zu erhalten. 

Daß ein Buch wie das vorliegende nicht alles enthalten kann, was noch erwähnenswert wäre, bitte ich zu verstehen. Ich stand zudem bei der ganzen Arbeit immer unter dem Druck der vergehenden Zeit, denn das Buch sollte zum 10. Heimattreffen 1988 vorliegen, und da ich das 66. Lebensjahr inzwischen vollendet habe, war es auch in dieser Hinsicht Zeit, nicht noch länger zu warten. 

Vielen habe ich zu danken. Den Heimatfreunden, die ich nicht alle namentlich nennen kann, Frau Hildegard Ufer für die Mitwirkung bei der Textgestaltung, meiner Tochter Helga, die den gesamten Schriftsatz erstellte, und vor allem meiner Frau, die wieder einmal ein ganzes Jahr lang die vielerlei Belastungen mittragen mußte. 

Ich habe das Buch verfaßt, um die Erinnerung an unsere schöne Heimat festzuhalten, und ich würde mich freuen, wenn viele unserer Lauenbrunner nah und fern und besonders in den USA, in Kanada und Australien damit ein kleines Stück Heimat als ständige Erinnerung für sich und ihre Nachkommen erhalten. 


   

Kurt Schüttler Hasbergen, im Mai 1988